Sollen jüdische Feste auf öffentlichen Plätzen gefeiert werden?
Im Dezember sind Fenster, Straßen, Plätze weihnachtlich geschmückt, Adventsmärkte und Weihnachtsmotive überall. Sollen Minderheiten da fordern, auch mit ihren Festen wahrgenommen zu werden? Ist das öffentliche Zünden von Chanukka-Leuchtern nur eine politische Show? Oder das Zeichen kultureller Offenheit und Zugehörigkeit? Und warum ist dabei stets Polizeischutz nötig?
Jüdisches Leben findet in Deutschland entweder in privaten Räumen und Wohnungen oder in stark bewachten Gemeindeinstitutionen statt. Aus Sicherheitsgründen finden jüdische Gottesdienste und Veranstaltungen nahezu als „geschlossene Gesellschaft“ statt. Dadurch bleiben jüdische Rituale und Kultur für die Mehrheitsgesellschaft fremd und exotisch, was wiederum als Anknüpfungspunkt für Antisemitismus benutzt wird. In den letzten zehn Jahren gibt es vermehrt Bemühungen, religiöse Feiern wie das Zünden der Chanukkalichter im öffentlichen Raum zu begehen. Ist das nur eine politische Show oder ein wirksamer Beitrag zum normalen Miteinander?
Von Zeit zu Zeit entbrennen gesellschaftliche Debatten darüber, ob in einem säkularen Staat überhaupt religiöse Symbole in der Öffentlichkeit präsent sein sollten. In Deutschland gibt es zwar eine verfassungsrechtliche Trennung zwischen Staat und Religion, dennoch ist das Grundgesetz nicht laizistisch. Christliche Kultur und Feiertage sind weithin präsent, im Jahresrhythmus, im Kommerz, oft auch als staatliche Feiertage. Wie können sich Jüdinnen und Juden darin wiederfinden? Angesichts dieser Dominanz im öffentlichen Raum stellt sich die Frage nach der Wahrnehmung von religiösen Minderheiten als Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft.
Offene Gesellschaften leben davon, dass jede/r zeigen kann und zeigt, wer er/sie ist. Zur Textur eines demokratischen Gemeinwesens gehört die Vielfalt von Meinungen, religiösen Bekenntnissen und kulturellen Zugehörigkeiten. Alle Ausdrucksformen, solange sie den Mitmenschen mit Respekt und Akzeptanz begegnen, haben hier Raum, niemand soll sich verstecken müssen. Doch wenn es um jüdische Symbole geht, hört die Selbstverständlichkeit auf. Die Solidarität mit dem Staat Israel, insbesondere nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023, kann nicht so einfach mit Israel-Fahnen ausgedrückt werden wie die Unterstützung für die Ukraine mit allenthalben wehenden blau-gelben Fahnen. Israel-Fahnen werden abgerissen, Gottesdienste und Veranstaltungen der jüdischen Gemeinden können nur unter Polizeischutz stattfinden. Oft wird die im Zuge des Gaza/Israel-Krieges aufgeheizte Stimmung als Grund dafür angegeben, aber es ist auch eine Tatsache, dass schon seit Jahrzehnten jüdisches Leben in Deutschland nur stattfinden kann, wenn es von Polizeipräsenz abgesichert ist. Jüdische Gemeindezentren können eben nicht so einfach einen „Tag der Offenen Tür“ veranstalten wie Kirchen oder Moscheen. Im Ergebnis dessen sind jüdische Aktivitäten weniger sichtbar als sie es sein könnten.
Freilich lässt sich einwenden, in einer säkularen Gesellschaft, in der verfassungsmäßig Staat und Religion getrennt sind, hätten religiöse Symbole überhaupt nichts im öffentlichen Raum zu suchen. Allerdings ist die Bundesrepublik kein strikt laizistischer Staat, Religionsgemeinschaften werden als ein wichtiger Träger gesellschaftlichen Zusammenlebens anerkannt und gefördert. Einwände gegen die Präsenz religiöser Symbole werden vor allem gegen das Christentum (als sogenannter „Leitkultur“ für Deutschland) und gegen den Islam erhoben. Die Präsenz jüdischer Symbole im öffentlichen Raum wird im allgemeinen weniger unter dem Aspekt von religiösem Zwang diskutiert – sie gilt eher als politisch gewolltes Sichtbarwerden von nach der Schoah wiederentstandenem jüdischen Leben in Deutschland. Angriffe dagegen sind nicht religionskritisch, sondern antisemitisch motiviert.
Bis vor wenigen Jahren waren jüdische Symbole in der Öffentlichkeit allenfalls bei Gedenkveranstaltungen oder an jüdischen Gemeindeeinrichtungen wahrnehmbar. In jüngerer Zeit ist jedoch auch das Zünden von großen Chanukkaleuchtern populär geworden. Auf prominenten öffentlichen Plätzen werden meterhohe Chanukkiot aufgestellt und dann in Gegenwart von führenden Politikern, Bürgermeistern, Vertretern von Parteien und der Stadtgesellschaft gezündet. Die Initiative dazu ging ursprünglich von der ultraorthodoxen Gruppe Chabad Lubawitsch aus und wurde inzwischen auch von vielen jüdischen Gemeinden übernommen. Viele Jüdinnen und Juden mögen diese Feiern, weil sie damit erleben, dass auch jüdische Kultur und Religion zu Deutschland gehört. Da Chanukka ja immer in die Advents- und Weihnachtszeit mit ihren allgegenwärtigen christlichen Symbolen fällt, empfinden sie dieses Sichtbarmachen anderer Traditionen als Bekräftigung, dass Judentum Teil einer pluralistisch verfassten Zivilgesellschaft ist, selbst wenn es sich zahlenmäßig um eine verschwindend kleine Minderheit handelt. Andere kritisieren diese Feiern, weil das Zünden des Chanukkaleuchters zunächst ein religiöses Gebot für das eigene Zuhause ist.